Denkanstöße: Über Authentizität und Abgeschiedenheit

Jeder Quadratmeter Land ist erobert, kartografiert und bis in seine letzten Details ausgeleuchtet. Beinahe jeder Berg ist bestiegen, jede Sehenswürdigkeit abgelichtet, jedes Meer überquert und mit Google Earth können wir sogar auf Reisen gehen, ohne unsere gewohnte Umgebung verlassen zu müssen. Es gibt kaum ein Fleckchen Welt, das noch unberührt ist. Eventagenturen verkaufen perfekte Reiseerlebnisse und All-inklusive-Pakete, in den Regalen der Buchhandlungen häufen sich die Reiseführer, die uns darauf aufmerksam machen, welche Orte wir noch unbedingt besuchen müssen, bevor wir achtzig sind. Im Internet wird inszeniert, gefiltert und um die Wette gehashtagt, um ja möglichst viele Menschen auf die coolsten und vor allem exotischsten Destinationen aufmerksam zu machen.

Seit einiger Zeit ist aber auch eine Art Gegentrend erkennbar: das langsame Unterwegssein und die Suche nach Authentizität und Abgeschiedenheit. Im Abgeschiedenen, im Authentischen lässt sich die Wahrnehmung wieder schärfen und wir glauben, unserem oftmals seelischem Abgestumpftsein, das durch das Abhaken hyperdynamischer Erlebnisse entstanden ist, wieder auf die Sprünge helfen zu können.

Was aber ist Authentizität überhaupt und ist nicht eigentlich jede Reise, jede Unternehmung authentisch bzw. wird sie uns nicht als solche verkauft? Robert Schäfer geht in seiner Studie "Tourismus und Authentizität" davon aus, dass uns jedes touristische Setting einen Einblick in das Ursprüngliche und Ungestellte verspreche, wodurch dieses Setting aber zu einem Aufführungsort wird. Was also tun? Wie also reisen? "Bück dich nach Nebensächlichkeiten" wäre ein Ansatz, den bereits Peter Handke in seinem Gedicht "Über die Dörfer" aufgreift. Vielleicht geht es bei einer authentischen Reiseerfahrung also gar nicht so sehr um die besuchten Orte, sondern gerade um diese Nebensächlichkeiten: um persönliche Eindrücke, Gerüche, Farben und auch um das Erfahren der individuellen Subjektivität, der inneren Stimmigkeit, wodurch die Destination selbst dann eher zu etwas Sekundärem wird. 

Lesestoff*:

Christian Schüle: Vom Glück, unterwegs zu sein. Warum wir das Reisen lieben und brauchen.

 

Ilija Trojanow: Die Versuchungen der Fremde.

 

Tiziano Terzani: Fliegen ohne Flügel.

 

Rainer Wieland: Das Buch des Reisens.

 

Roger Willemsen: Die Enden der Welt.

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