In ihrem letzten Newsletter beschäftigte sich Christine Fuchs mit dem Austausch von Befindlichkeiten: "Die Frage 'Wie geht es dir?' ist Usus. Ob die Antwort immer authentisch ist, sei dahingestellt. Doch stellen wir unserem Gegenüber auch die Frage nach seinen Interessen, Vorlieben, Hingaben, Leidenschaften, Wissensdürsten und Wissbegieren? Solche Fragen zu stellen ist auch eine Möglichkeit, sich dem Rhythmus der Natur anzupassen. Sie macht einfach. Sie kümmert nicht, ob ihrem Nebenstrauch ihre Blüte gefällt oder nicht. Sie haut einfach raus. Prachtvoll, wunderbar und üppig. Tun wir es ihr also gleich!"
"Wer in einen Wald geht, betritt eine andere Welt, in der er sich verwandelt. Es ist kein Zufall, dass in Shakespeares Komödien Menschen in den Wald gehen, um zu wachsen, zu lernen und sich zu verändern. Gerade dort, wo man sich verläuft und verirrt, findet man sich paradoxerweise."
(Aus: Roger Deakin: Wilde Wälder)
"Wann immer sie konnte, unternahm sie einen Spaziergang in den Wald. Aus ihrer Sicht war der Wald etwas Magisches: ein Lebewesen, in dem man herumlaufen konnte. Er brachte alle Fragen zum Schweigen." (Juli Zeh)
Ich bin ein neugieriger Mensch. Ich würde vielleicht sogar sagen, dass es die Neugier ist, die mich antreibt. Der Kosmopolit Ilija Trojanow hat ein Buch zu diesem Thema geschrieben, das im Literaturverlag Droschl in der Reihe "Gedankenspiele" erschienen ist. Darin beschäftigt er sich auch mit der Neugier im Zusammenhang mit dem Unterwegssein und sagt dazu Folgendes: "Fährt man mit dem Auto, dem Bus, dem Zug oder dem Motorrad durch die Landschaft, erfährt man die Fremde nur mit den Augen. Durchstreift man die Welt zu Fuß, sieht man mit dem ganzen Körper. Es gibt keine umfassendere Neugier." Daher: Neugierig und offen sein, es gibt so viel zu entdecken!"
Der Wald ist der Ort, an dem ich am meisten ich selbst sein kann.
"Seit vielen Jahren schon bewegt mich das Blau am äußersten Rand des Sichtbaren, diese Farbe der Horizonte, der fernen Bergketten, all dessen, was weit weg ist. Blau ist die Farbe des Verlangens nach den fernen Orten, an denen man nie ankommt, nach der blauen Welt." (Rebecca Solnit)
"In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte." (Franz Kafka)
"Wenn ein junger Baum verletzt wird, wächst er um die Verletzung herum weiter. Im weiteren Verlauf seiner Entwicklung wird die Wunde im Verhältnis zu seiner Größe immer kleiner. Knorrige Auswüchse und unförmige Äste deuten auf Verletzungen und Hindernisse hin, denen ein Baum im Laufe der Zeit ausgesetzt war und die er überwunden hat. Die Art, wie ein Baum um seine Vergangenheit herum wächst, trägt zu seinem Charakter und zu seiner Schönheit bei."
(Peter Levine)
Robert Macfarlane hat das Vorwort zu Nan Shepherds Buch „Der lebende Berg“ geschrieben, in dem er auch auf den irischen Dichter Patrick Kavanagh verweist, der ,,keinen Zweifel an der Bedeutsamkeit der Provinz hegte. Für Kavanagh war die Provinz kein Umkreis, sondern eine Öffnung: ein Loch, durch das man die Welt sehen konnte: Auch nur ein Feld oder ein Land ganz kennenzulernen, ist ein lebenslanger Erfahrungsprozess. In der Welt der poetischen Erfahrung ist es Tiefe, nicht Breite, die zählt. Eine Lücke in einer Hecke, glatte Steine, die eine schmale Gasse pflastern, der Anblick einer von Wäldchen bestandenen Wiese, der Bach, dort wo vier kleine Felder aufeinandertreffen – mehr kann man kaum vollständig erfahren.“
Man neigt ja dazu, sich relativ schnell ein Urteil zu bilden: über Menschen, über Dinge, über dies und das. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft muss alles schneller und lauter gehen und vor allem introvertiertere Menschen haben es dann nicht immer leicht, wird doch der erste Eindruck nicht selten mit "Persönlichkeit" verwechselt. Dabei kann es so lohnenswert sein, genauer hinzusehen, nicht sofort zu urteilen oder sich eine Meinung über etwas oder jemanden zu bilden. Ram Dass hat das einmal sehr schön formuliert, denn er vergleicht das Nicht-Urteilen mit dem Betrachten von Bäumen....
Ich weiß, wie zerbrechlich unsere Welt geworden ist und wie kostbar Momente wie Frieden, Glück oder Sicherheit sind, Momente, die man nie für selbstverständlich nehmen sollte. Die Zeit, die ich in der Natur verbringe, lehrt mich dabei Geduld, sie lehrt mich, Ausschau nach dem Licht zu halten und dankbar für alle Höhen und Tiefen zu sein. Die Zeit in der Natur bringt mich näher zu mir selbst, lässt mich erahnen, welches Leben ich gerne führen möchte und das alles mit allem verbunden ist.
Für das neue Jahr habe ich mir ein Leben in den langsamen Rhythmen vorgenommen. Selina Gartmann hat das sehr schön formuliert: "Wir eilen, aus Gewohnheit oder Konditionierung, oft durch unseren Alltag und merken nicht, dass das Leben eigentlich viel langsamer spielt. Alles, was wir brauchen, damit es uns besser geht, damit wir glücklicher sind, zufriedener sind, ist, dass wir ruhiger werden. Zurückfinden in diesen langsamen und sanften Fluss des Lebens." Das ist ein schönes Ziel.
"Mir selbst treu sein und einen Weg gehen, der mich in die Weite und in die Freiheit führt, wahrhaftig sein und immer mehr sowohl in die eigene als auch in die Tiefe des Seins als solchem vordringen, jeden Moment schätzen lernen, mich selbst und andere lieben, dabei Freude und Kraft atmen. Die Masken fallen lassen. Offen auf andere zugehen. Meine Erfahrungen teilen und von den Erfahrungen anderer lernen. Mich nicht von anderen abgrenzen müssen. Nicht eng im Herzen werden, sondern es durch meine eigene Beziehung zum Universum, die jeden anderen individuellen Weg wertschätzt, immer offener werden lassen. So möchte ich leben. Getragen von dem Atem, der uns alle miteinander verbindet. Verwurzelt in der Erde, die uns alle nährt. Ausgestreckt in den Himmel, der sich über uns alle spannt. Achtsam, immer wieder staunend, erfüllt von Dankbarkeit für das Wunder des Lebens, das sich in mir selbst, in dir, in jedem Tier und jedem einzelnen Grashalm zeigt." (Dirk Grosser)
Einen Text von Dirk Grosser gefunden. Über den Alltag. Die kleinen Dinge. Die Zufriedenheit. In diesem schreibt er: "Es ist dieser Alltag, der unsere Menschlichkeit formt, und weniger die großen Ideen, Konzepte und Theorien, von denen wir alle schon genug gehört haben. Genau hier, genau jetzt können wir uns neu in die Welt verlieben und echte Wunder entdecken, wenn wir nur lernen, achtsam zu schauen, zu lauschen und uns ganz dem gegenwärtigen Moment hinzugeben. Das mag unspektakulär klingen, doch lässt es unser Herz in einer tiefen Zugehörigkeit zum Leben in all seinen Facetten ruhen und führt letztlich zu echter, schlichter Zufriedenheit. Mir persönlich reicht das ... Mögen wir gemeinsam in den ganz alltäglichen Dingen das große Geheimnis entdecken, uns von ihm berühren lassen und in wirklicher Verbindung, wirklicher Beziehung zur Welt bleiben."
"Baker Lake nennt sich dieser kleine, herzerweichend geformte See nahe dem Städtchen Brome Lake im kanadischen Quebec. Auch wenn der digital getrimmte Mensch des 21. Jahrhunderts es augenblicklich vermuten würde: Nein, die atemberaubende Szenerie und die Umrisse des Gewässers entstammen keinem Photoshop. Hier sind 100 Prozent echt: Eine wunderschöne Laune der Natur, die im "Indian Summer", wenn die Verfärbung von Myriaden Blättern vom Wandel kündet, so richtig herauskommt.
"Die Natur ist nicht verstellt, gekünstelt und auf Konventionen bedacht. Sie ist gnadenlos ehrlich, durch und durch echt - und offenbart in jedem Augenblick, in dem es uns gelingt, wahrhaft zu lauschen und zu schauen, das Geheimnis des Lebens." (Dirk Grosser)
"Was alles schön sein kann: Eine schier endlose Aufzählung von Witterungen." (Jaqueline Schreiber)
"Ein englisches Wort für den Herbst ist wunderbar in seiner Bildhaftigkeit: Neben "Autumn", das luftig nach Atmen klingt, gibt es den Ausdruck "the Fall". Das Fallen. Nicht im Sinne von abruptem Stolpern oder Stürzen, sondern im Sinne von gemächlichem Hinabsinken - zu ebener Erde. Die Temperaturen fallen, die Blätter auch. Dieses Fallen der Blätter ist naturgemäß die Verbal-Ikone für den beginnenden Herbst und das große Blätterrauschen.
"Das Meer lehrt mich, meine eigene Fremdheit, meine Ungeduld, meine Spannungen zu erkennen. Es zwingt mich, seine Gleichgültigkeit zu ertragen, um Stille zu finden. Und obwohl es dem Meer völlig einerlei ist, ob ich da bin oder nicht, entsteht meinerseits Vertrauen. Das Meer lädt das nervöse Ego zur Erkenntnis seiner selbst ein, weil es ihm die seltene Chance zur Leere gibt." (Christian Schüle)
"I love borders. August is the border between summer and autumn; it is the most beautiful month I know. Twilight is the border between day and night and the shore is the border between sea and land. The border is longing; when both have fallen in love but still haven't said anything. The border is to be on the way. It is the way that is the most important thing."
(Tove Jansson: Moominvalley in November)
Wolf Dieter Storl hat über den Garten als Lehrer der Seele geschrieben, was aber auch für die Natur im Allgemeinen zutrifft: "Der Garten selber ist ein Lehrer der Seele. Er ist ein Spiegel für uns. Er lehrt uns, dass alles, was ins Dasein tritt, unweigerlich wieder vergeht. Der moderne, von der Natur entfremdete Zeitgenosse hat seine Schwierigkeiten mit diesem Werden und Vergehen, das - auch wenn er es nicht wahrhaben will - auch ihn betrifft. So erstarrt er seelisch, er will festhalten; er sträubt sich gegen das Vergängliche, gegen Auflösung und das Verlöschen. Was aber der Garten uns Jahr für Jahr lehrt, ist, dass dem Verschwinden, Verblühen und Verwelken immer ein Frühling folgt: Das Lebensgrün erwacht, die Sonne steigt höher, die Zugvögel kehren zurück. Alles wandelt sich, nicht geht verloren. Der Garten lehrt uns tiefes Vertrauen in das Sein"
"Wenn der Berg sprechen könnte, hätte er viel zu erzählen. Von Menschen, die auf seinen Hängen und Graten zum Gipfel stürmen, nur um oben gewesen zu sein, dabei aber die vielen wundervollen Besonderheiten, die am Wege stehen, übersehen. Von Menschen, die die Freiheit suchen und sich erhoffen, oben solche zu finden. Von Menschen, die aus ihrem Alltag geflüchtet sind, um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Von Menschen, die sich verändern, wenn sie ihre eigene Winzigkeit im Angesicht dieses Riesen erblicken. Von Menschen, die Glück empfinden, bei dem, was sie tun und am Gipfel mit einem lauten Jauchzer es der ganzen Welt mitteilen. Von Menschen, die sich im Tal befinden, die keine Zeit oder Lust haben für den Berg oder die Natur, obwohl sie selbst ein Teil dieser Schöpfung sind. Von Menschen, die kraftlos sind und die nicht wissen, dass die Natur für sie da ist, damit sie auftanken können."
(Aus: Wandern fürs Gmiat von Robert Graimann und Michael Bünker)
Der Sommer riecht nach frischem Heu und nächtlichem Regen,
nach in Sonnencreme frittierten Pommes
und Gummischlangen in Giftgrün.
Im Buch "Philosophie der Wildnis" von Baptiste Morizot bin ich vor kurzem über den Begriff "Sich einwalden" gestolpert, den er wie folgt beschreibt: "Man geht in den Wald und zugleich zieht dieser in uns ein. Sich einzuwalden erfordert keinen Wald im Wortsinne, sondern schlicht eine neuartige Beziehung zu den lebendigen Territorien. Erstens durchschreitet man die Landschaft anders, nimmt Verbindung zu ihr mithilfe anderer Formen der Achtsamkeit und anderer Praktiken auf, zweitens lässt man sich von ihr kolonisieren, durchdringen; man lässt sie bei sich einziehen."
Einen Text von Dirk Grosser zum Thema "Wolken" gefunden, in dem er Folgendes schreibt: "Wie auch immer sie aussehen, ich könnte ihnen stundenlang zuschauen, wie sie auftauchen, sich verändern und letztlich verwehen. Was ich an Wolken so mag, ist leicht erklärt: Ich kann sie nicht besitzen, sie nicht festhalten, doch in ihrer vergänglichen Art schenken sie mir trotzdem große Freude. Sie entstehen irgendwo, ziehen in der endlosen Weite des Himmels umher, nehmen die unterschiedlichsten Formen an und lösen sich wieder auf, verschwinden einfach im grenzenlosen Blau. Sie sind eher Geschehnisse als Dinge - und sie erinnern mich daran, dass das Meiste in meinem Leben, was ich wirklich mag, genau diese Qualität hat. Ich besitze nichts, werde aber täglich beschenkt."
"Das stumme Stehen und Schauen vor den Urgewalten und Riesenformen der Berge ist eine heilsame Belehrung, ein Zurechtrücken der Wirklichkeit, eine Offenbarung der Wahrheit: der Wahrheit über mein Kleinsein, meine Winzigkeit, meine Zeitlichkeit, meine Grenzen." (Reinhold Stecher)
"Ein Naturwunder, weiß die Naturwissenschaft, gibt es nicht. Es muss mein selbst gestecktes Wunder sein. Ein kleines, allgemein unbesehenes, ein eigener Marker in der Landschaft. Nicht der touristische. Die eigene Erfahrung setzt das Wunder. Das Zutrauen in die Erfahrung und im Finden setzen. Das Wundern lernen, nicht den vermittelten Blick. Eine Landschaft verstehen, nicht das Wunder zu Markte tragen." (Wolfgang Scherreiks)
"Stille wird aus dem Staunen geboren. Aus einem offenen Geist, der nicht krampfhaft Antworten sucht, sondern zufrieden in die Fragen einsinkt, dort bleibt, sie aushält, ihnen lauscht und sich von ihnen zum Wesentlichen führen lässt. Stille atmet die Welt ein und aus, ist Teil von ihr - das verbindende Element zwischen allen Tönen, zwischen den Menschen, Tieren und Pflanzen, sogar zwischen den Sternen. Sie macht Rhythmus überhaupt erst möglich, sie ist die Pause zwischen zwei Herzschlägen oder auch zwei Sätzen einer Sinfonie. Sie fließt auf sanfte Weise, schafft Raum für Zugehörigkeit und Entfaltung. Sie ist bescheiden und muss ihre Wichtigkeit nicht herausstellen. Stille umfängt alles...und lächelt dem zu, was ist."
(Dirk Grosser)
Ich weiß naicht warum, aber in unruhigen Zeiten überfällt mich immer großes Fernweh. Vielleicht ist es aber auch nur ein Weltschmerz, ein Nicht-Begreifen-Können, was um uns passiert, eine Art Realitätsflucht. In solchen Zeiten sehe ich mir immer alte Fotos an, um Ruhe im Sturm zu finden.
Das Ende des Winters riecht nach schmuddeligen Landschaften, die an den letzten Schneeresten festhalten. Die Erde atmet langsam und legt uns verblichene Herbstblätter vor die Füße, nichtlesbare Spuren verschwimmen am Weg und wühlen im Schlamm. Ich forme mir einen letzten Schneeball und halte ihn in der kalten Hand, bevor er sich häutet. Es ist Mitte Februar.
(Molk Manuela)
Der Weltenwanderer Erling Kagge musste weit gehen, um ein Gut zu finden, das in unserer Zeit immer wichtiger wird: Stille. Auf seinen Expeditionen zum Nord- und Südpol hat er sie gefunden und schreibt dazu: "Jedes Mal, wenn ich eine Pause machte, erlebte ich eine ohrenbetäubende Stille. Sogar Schnee sieht still aus, wenn es windstill ist. Ich wurde immer aufmerksamer gegenüber dieser Welt, von der ich ein Teil war. Ich war nicht gelangweilt, wurde nicht gestört. Ich war allein mit meinen Vorstellungen und Gedanken. Die Zukunft spielte keine Rolle mehr, die Vergangenheit kümmerte mich nicht, ich war mit einem Mal in meinem eigenen Leben präsent. Die Welt verschwindet, wenn man darin aufgeht, behauptete der Philosoph Martin Heidegger. Und genau das passierte."
/Frag dich/. Hast du den Wald schon einmal durch den Spalt einer Muschel gesehen und die Wolkenbanner beobachtet, die träge am Himmel wehen? Wann hast du Zeit einen Zweig aus der Krone zu brechen und deinem Schatten problemlos die Hand zu reichen? Welcher Winter war je weißer und ist der Schnee schon einmal so selbstverständlich unter deinen Füßen gelegen wie ein Konjunktiv ohne Mindestabstand?
"Die Natur forciert die Dinge nicht, sie lässt sie wachsen. Sie eilt nicht, sondern ist tief verwurzelt in der Ruhe. Sie pulsiert im Einklang mit den Flüssen des Lebens und ist eingebettet in dieses große Bild, welches sie Tag und Nacht wieder von neuem träumt. Wieder eins zu werden mit dem Herzschlag der Natur ist ein Aufruf für mehr Verbundenheit, für das bewusste Stillwerden und dich öffnen für dein Herz und das Leben." (Selina Gartmann)
"Jede Reise, die man beschreibt, beginnt mit der Frage: Wo war ich? Im Doppelsinn: Wo wurde der Erzählfaden des alltäglichen Lebens unterbrochen, und wie findet man heraus, wo man wirklich war?" (Roger Willemsen)
"Wenn ich lange genug aufs Meer schaue, werde ich ruhig. Das Meer reinigt den Kopf und wirkt antiseptisch auf jedes verkrustete Denkmuster und all die schwer erworbenen Narben, die man neben der Erfahrung mit sich führt. Der Himmel und die See schießen aufeinander zu, als wären sie rasch heranwachsende Kinder. Alles wächst gegeneinander. Man zweifelt an der Unschuldsvermutung für die Natur, wenn die Wellen sich an den Schiffen aufranken wie gierige Kletterpflanzen. Die Luft liegt in Wehen und die aufgerissenen Wolken gebären Wind. Die Wellen brechen übereinander und übereinander herein. Ästhetik ist hier ein Gesetz und keine Tugend. Wir schippern fröhlich durch die Peristaltik der Welt, die sich selbst verdaut im süßen Nektar und im Salzgesöff. Was bleibt, ist das nackte Leben und ein kindliches Gefühl der Freiheit". (Valerie Fritsch)
*Immer da, wo du bist, bin ich nie", singt der großartige Sven Regener ganz entspannt. Keine Ahnung, ob er dabei an Orte der Sehnsucht gedacht hat. Aber das trifft es schon ganz gut - das Sehnen, das Suchen, die Sucht, Orte mit Suchtpotenzial. Die uns ganz nah sind oder aber in weiter Ferne liegen. Dort, wo sich die vielen Farbnuancen der Sonne zeigen, wie sie unbeirrt über dem Meer aufsteigt oder sich in die Nachtstunden verabschiedet. Dort, wo die Laufschuhe sich vom weichen Waldboden wegdrücken und jeder Baum wie eine kulturelle Schöpfung wirkt. Dort, wo die frische Bergluft die Sonne stärkt und den Gedankenballast fortträgt. Dort, wo der warme Sommerwind die Leichtigkeit des Seins am Ufer des Sees einkehren lässt. Dort, wo kulinarische Freuden den Alltag in Vergessenheit geraten lassen. Und dort, wo Musik die Sinne betört - und zum Inbegriff der vielen Spielarten der Sehnsucht wird. Wo auch immer wir diese verorten.* (Wolfgang Fercher)
"Ich habe die Tür des Autos aufgemacht, mich hingesetzt, aufs Wasser geschaut. Und auf die wiederkehrende Frage: Was machst du, wenn dir dabei langweilig wird?, habe ich geantwortet: Die Frage ist falsch gestellt. Wenn mich alles andere langweilt, schaue ich aufs Wasser." (gefunden via Süddeutsche Zeitung Magazin)
"Der Sehnsuchtsort ist immer auch ein Ort, der wehtut. Die Sehnsucht als Sucht, nach der man sich sehnt, die man sucht, ohne hinzusehen, die man sieht, ohne sie zu suchen. Sehnsuchtsorte sind weniger reale als mentale Orte der Selbstvergewisserung: Wer noch spürt, hat nicht vergessen, wer sich erinnert, kennt seinen inneren Kompass. Die chronische Verklärung ist Teil des Konzepts und verdient keine Polemik, sondern bewusste Beachtung: Wie kann das Eis im Freibad zum Sehnsuchtsort werden, wie die Flasche Wein am Strand, wie der smaragdgrüne Fluss im Tessin, den man in Jugendjahren mit offenem Geist inhalierte. Die Erinnerung lässt das Herz schneller schlagen - zugleich, merkwürdig schwer wird es einem um die Brust. Was Sehnsuchtsorte eint, ist ihre Einfachheit, ja Banalität im Grunde. Getragen von der nostalgischen Illusion, etwas im Leben ließe sich festhalten und wiedererleben. Wenn man nur wollte, ja wenn man nur wollte." (Daniel Hadler)
Berge können manchmal ganz schön unbequem sein, wie es Reinhold Stecher in seinem Buch so treffend beschreibt: "Sie legen sich sozusagen quer gegen unsere schaumgummigepolsterte Knopfdruckzivilisation, die wir beim Parkplatz zurücklassen. Wer den Berg richtig erleben will, kommt nicht so billig weg. Er lässt dich über fade Moränenhügel wandern, er will dich keuchen hören, er lässt dich müde werden und es macht ihm gar nichts aus, wenn du immer wieder hinter dem nächsten Aufschwung das Ende erwartest. Der Berg liefert unter Umständen zur Abendstimmung Blasen an den Füßen und zum Sonnenaufgang einen Muskelkater. Das Leben in den Bergen ist zwar nicht immer so rau, aber für ein paar Tage oder Wochen holt uns der Berg doch zurück ins einfache Leben - und das ist gut. Wir haben ja sowieso zu viele Genüsse zum Nulltarif - und gerade das entwertet sie. Der Berg holt von dem allen unberührt ein wenig nach, was diese Wohlstandswelt in unserer Formung versäumt: Er verhilft uns zu etwas Frustrationstoleranz, also einfach zur Fähigkeit, im Augenblick auf etwas Angenehmes zu verzichten, weil ein größeres Ziel winkt."
"Das Wolkenschauen ist eine vernachlässigte Praxis, stundenlang kann ich in die Luft starren, die epischen Schlachtszenen und aufgebäumten Pferde, die morphischen Dinosaurier und einfachen Herzen beobachten. Ihrer Verwandlung, Auflösung, Unzuverlässigkeit hinterhersehen, denn schließt man die Augen für einen Moment, ist das eine immer schon zum Anderen geworden." (Valerie Fritsch)
"Wie Tristan Garcia in seinem Buch "Das intensive Leben" beschreibt, soll gerade alles intensiv sein - die Arbeit, das Spiel, der Schlaf. Doch Intensität ist ein Ausnahmezustand. Wenn wir versuchen, sie routinierter Machbarkeit zu unterwerfen, verwandelt sie sich in Leistungsdruck, sinnlose Überproduktion und eine schale Kopie ihrer selbst. Echte Intensität ist nicht mehr vom Gleichen, sondern etwas vom anderen. Sie zeigt sich in nächtlichen Schreibräuschen und spontanen Gedichten, in überwältigenden Gefühlen und unerwarteten Naturerfahrungen. Dabei ist sie nicht aktiv, sondern passiv, nicht berechenbar, sondern überraschend und überwältigend." (Ariadne von Schirach)
In einer älteren Folge des Hotel Matze war der Schauspieler Lars Eidinger zu Gast. Er sprach dort u.a. auch über Fotografie und sagte: "Ich glaube, es ist ein Missverständnis, dass man mit Fotografie Leben einfangen kann. Das Einzige, was man einfängt, ist der Tod. Und deshalb ist Fotografie auch so aufregend. Denn wenn ich ein Foto mache, sehe ich es mir an und schon ist es ein toter, vergangener Moment". Oder wie Roland Barthes es auch ausdrückte: "Was die Fotografie endlos reproduziert, hat nur einmal stattgefunden. Sie wiederholt mechanisch, was sich existenziell nie mehr wird wiederholen können."
"In den letzten Tagen brach die Welt aus der Schale des Winters, taute auf, sonnte sich und schmolz sich frei, hielt sich an Jean Paul, der wusste: Das Schöne am Frühling ist, dass er immer dann kommt, wenn man ihn am dringendsten braucht. Unter der Winterlandschaft kam die Frühlingslandschaft hervor, die schon ahnen lässt, dass sie irgendwann einen lang ersehnten Sommer in sich birgt." (Valerie Fritsch)
"...Der Mensch darf also lernen, seine Natur wieder zu sehen, zu spüren, wahrzunehmen. Er IST Natur. Durch und durch. Der Mensch hat seine Natur verdrängt, ausgeschaltet, er will es nicht sehen, weil er selbst mächtig sein, lenken und steuern will und sein Schicksal bestimmen möchte. Er will sich nichts vorschreiben lassen von Ebbe und Flut, Mondstand oder Tag-Nacht-Rhythmus, Pflanzen oder Steinen, Sternen oder Wasser. Darum hat er die Natur zu seinem Fein gemacht, den er besiegen muss. Berge werden nicht mehr erwandert, sondern bezwungen...
"Wir gehören nicht zu denen, die erst zwischen Büchern oder auf den Anstoß von Büchern zu Gedanken kommen - unsre Gewohnheit ist, im Freien zu denken, gehend, springend, steigend, tanzend, am liebsten auf einsamen Bergen oder dicht am Meere, da wo selbst die Wege nachdenklich werden", schreibt Friedrich Nietzsche. Nachdenkliche Wege - das ist ein schöner Ausdruck.
"Die leise Zwischenwelt des Nebels hat auf Bildern eine faszinierende Wirkung, im tiefsten Inneren verängstigt sie uns aber. Denn der Nebel ist das Gegenteil dessen, woran wir uns so gerne festklammern: an Gewissheiten, an strahlende Aussichten, an Eindeutigkeiten. Erst wenn sich der Nebel lichtet, atmen wir erleichtert auf und wähnen uns in Sicherheit. Der Nebel ist ein Symbol dafür, dass man nicht alles eindeutig sehen muss, es aber dennoch klar erkennen kann."
(Bernd Melichar)
"Nach dem Tod von Leonhard Cohen waren über dem Portal des Kinos Ritzy in der amerikanischen Kleinstadt Lindon drei Reihen großer weißer Lettern anmontiert. In der untersten standen sein Name und seine Lebensdaten. In den beiden oberen eine einzige Songzeile: There is a crack in everything, that´s how the light gets in. Auf Deutsch etwa: Durch alles geht ein Riss, so fällt das Licht hinein. Was aber will uns der Mann mit dem schwarzen Filzhut und der sanftmütigen Aura da eigentlich sagen? Wozu ruft er auf? Ganz einfach: zum Widerstand. Zum Widerstand gegen die Hoffnungslosigkeit, egal, welche Kriege, Katastrophen, Populisten und Viren uns noch heimsuchen. Sie werden es tun. Aber wir haben es selbst in der Hand, gerade im Riss, der sich in all dem Kaputten und Zerstörten auftut, den Spalt zu sehen, durch den das Licht einfällt." (Ursula März in der neuen Ausgabe der Zeit)
In einem Interview sprach der Soziologe Hartmut Rosa darüber, wie man ein gelungenes Leben führt. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch den Begriff "Weltreichweitenverkürzung", der gerade für diese Zeit sehr passend erscheint. Er ist der Ansicht, dass wir die ganzen Jahre über permanent versucht haben, unsere Weltreichweite zum Beispiel durch Reisen zu vergrößern. Das Streben gilt der Horizonterweiterung und wir haben eigentlich das zu unserer Definition eines guten Lebens gemacht. Mein Leben wird besser, je mehr Welt ich in Reichweite habe und möglichst viel im Voraus plane. Und jetzt machen wir plötzlich die Erfahrung einer radikalen Raumverkürzung, was die Art, wie wir in Raum und Zeit sind, auch ändern kann. Es kann uns ermöglichen, ein ganz anderes Verhältnis zu unserem Nahraum zu entwickeln.
Wir leben heute in einer Welt, in der Leistung extrem viel zählt. Von uns wird erwartet, dass wir alles erreichen. Deshalb ist es wichtig, sich davon ein Stück weit frei zu machen: indem man hinausgeht in die Natur. Indem man Orte aufsucht, an denen Geschichte lebendig wird und wo man begreift, dass alles, was uns wichtig erscheint, bald wieder verschwunden sein wird. Hat Alain de Botton gesagt. Und ich finde er hat Recht.
"Halten Sie sich eine Muschel ans Ohr, hören Sie dann das Meer rauschen? - Ich höre nur ein dumpfes, leises Grollen, das wohl kaum meine Sehnsucht nach peitschenden Wellen stillt. Dieser Sommer hatte aber eine Lektion für mich übrig. Auf einem Almurlaub nahe meiner Haustür habe ich begriffen, dass es nicht die laute Gischt braucht. Meist ist es das Leise, das der Seele Nahrung gibt. Tage ohne Uhr, ohne Pflicht. Nur Herzensstunden und Sterne schauen. Aufstehen mit dem Gefühl "ich muss nicht", Kaffeetrinken bis in die Unendlichkeit, dem knisternden Feuer lauschen.